Profilverlust ist nicht gleich Inhaltslosigkeit

„Ein Zahnarzt würde sagen: Der Nerv lebt noch.“ Das war das Fazit von Prof. Eith in seinem Vortrag „Veränderung des politischen Wettbewerbs. Chancen und Risiken der SPD“.

Zu Beginn seines Vortrages hatte Prof. Dr. Ulrich Eith noch darüber nachgedacht, ob nicht ein Psychologe geeigneter wäre, um die angeschlagenen Genossen wieder aufzurichten. Im Verlauf wurde er jedoch gewissermaßen zum Zahnarzt. Denn den einen oder anderen Zahn muss Eith nicht nur der Sozialdemokratie, sondern beiden traditionellen Volksparteien ziehen.


Der Parteienforscher Eith analysierte in seinem Vortag am 16.10.2018 in der Pädagogischen Hochschule Freiburg die Gründe der Veränderungen in der Parteienlandschaft Deutschlands und der EU, gab Hinweise auf neu entstandene Konfliktlinien und eine Empfehlung für die Neuaufstellung der SPD.

Die Auslöser der Veränderungen bei der Verteilung der Wählerzustimmung sind vielfältig. Dazu gehören soziale Bewegungen in der Gesellschaft wie die Veränderung von Milieus. Speziell bei der SPD ist eine nachlassende Bindung zur Arbeiterschicht zu beobachten, denn diese Schicht gibt es in dem Maße schlicht nicht mehr. Bildungsgrade haben sich verändert, ebenso wie Arbeitsverhältnisse und Gehaltsstrukturen. Und das nicht nur in Deutschland - in ganz Europa ist ein Niedergang der sozialdemokratischen Parteien erkennbar. Eith erklärt die Veränderungen in Deutschland auch durch eine „Wählerwanderung“: Russlanddeutsche, traditionelle CDU-Wähler, bewegen sich weg von der CDU.  Mitbürger mit türkischen Wurzeln wählten jahrelang die SPD und entscheiden sich nun anders. Arbeiter driften im Wahlverhalten mehr nach außen und entscheiden sich für die Linke oder die AfD.

Ein dramatisches Absacken der Werte der traditionellen Parteien nach Ankunft der ersten Migranten 2015 ist klar zu erkennen. Zudem hat sich die öffentliche Kommunikation zwischen Parteien und Wählern verändert, neue Konfliktlinien sind entstanden. GRÜNE und AfD bilden jetzt die Antipoden der Parteienlandschaft. Sie besitzen Alleinstellungsmerkmale, können sich einfach profilieren und erleichtern damit die Identifikation der Wähler mit ihren Parteiwerten. Liberale und Linke spielen immer wieder die nationalistische Karte und versuchen, damit bei besorgten Bürgern zu punkten. Das bedeutet massive Probleme für Union und SPD.

Zugleich kommt es in den arrivierten Parteien CDU/CSU und SPD zu Erstarrung an der Parteispitze. Und es gibt neue populistische Herausforderungen: Verlust der demokratischen Streitkultur, Denken in Gruppenrechten statt in Individualrechten, Gemeinschaft statt Gesellschaft und Volksentscheid versus Rechtsstaat.

Doch welche Wege kann die SPD nun gehen? Gibt es Mittel und Wege, um wieder mehr Wähler zu überzeugen? Aktuell wird die SPD als profillos wahrgenommen, als Partei ohne klare Aussage, Werte oder Kernthemen. Eith rät Parteien grundsätzlich dazu, klar Position zu beziehen. Die SPD sollte sich ihr Profil neu erarbeiten und daran orientiert Antworten auf die drängenden Fragen der Gesellschaft geben, um dann den eingeschlagenen Kurs zu halten und dadurch Verlässlichkeit nachzuweisen und Vertrauen zu gewinnen.
Parteiarbeit und politische Willensbildung sind im Grunde Dienstleistungen: Politiker müssen sich daher intensiver um die Sorgen der Wähler kümmern und mit ihnen kommunizieren. "Wählerinnen und Wähler wollen wahr- und ernstgenommen werden", so Eith.